Motivation hat viele Facetten. Für mich ist sie vor allem die Kunst der Antigravitation. Oder in den Worten des Forschers Richard deCharms >> eine milde Form von Besessenheit <<. Vermutlich hat diese Besessenheit etwas mit dem >> Chaos << zu tun, von dem Friedrich Nietzsche behauptete, man müsse es >> in sich haben, um einen tanzenden Stern zu gebären <<.
Alles mögliche kann für uns so ein tanzender Stern sein: das fertige Buch, an dem wir jahrelang geschrieben haben, das Ergreifen des ersehnten Berufs, das Erschaffen eines Kunstwerks, der Aufbruch zur lange erträumten Weltreise, das Erlernen einer neuen Sprache oder einfach das erfolgreich durchgezogene Sportprogramm. Entscheidend ist, wenn wir über Motivation reden, geht es um Ziele. Darum, die Pfeile unserer Sehnsucht über uns selbst hinauszuwerfen und den Keim unserer höchsten Hoffnungen zu pflanzen, wie Nietzsche's Zarathustra an gleicher Stelle mit viel Pathos vorträgt.
In der Welt der Wissenschaft sucht man vergebens nach Pfeilen der Sehnsucht und - bisher
zumindest - nach der Antigravitation. Die Orientierung an Zielen heißt hier schlichtweg Leistungsmotivation und der Psychologe Falko Rheinberg definiert sie so:
>> Es geht darum, dass jemand ein Ziel hat, dass er sich anstrengt und dass er ablenkungsfrei
bei der Sache bleibt. <<
Falko Rheinberg
Unsere antigravitativen Energien werden aber erst dann richtig freigesetzt, wenn es sich dabei nicht um irgendwelche Ziele handelt, sondern um solche, die mit unseren tatsächlichen Interessen, Wünschen und Bedürfnissen in Einklang stehen (man spricht dann von intrinsischer Motivation und Selbstkonkordanz). Deshalb ist das Erlernen >> motivationaler Kompetenz << (Rheinberg) nicht zuletzt auch Bildung zur Freiheit. Freiheit, die sich nicht in juristischen Begriffen erschöpft, sondern Freiheit, verstanden als die Fähigkeit, zu wissen was man will und wie man das erreicht.
Der Philosoph Peter Bieri sprach aus diesem Grund vom >> Handwerk der Freiheit <<. Denn Freiheit erfordert - wie jedes Handwerk und jede Kunst - vor allem eins: Übung. Wir sind nicht einfach frei oder unfrei, sondern bewegen uns in einem Kontinuum, in dem Freiheit erworben werden und auch wieder verloren gehen kann.
Um die Kunst der Antigravitation zu erlernen, kann man an verschiedenen Punkten ansetzen: An der Selbstwahrnehmung beispielsweise, um sich der eigenen Interessen, Wünsche, Stärken bewusster zu werden. Oder auch an der Willenskraft, Volition genannt. Ein erster Schritt zur Erweckung antigravitativer Energien ist schnell getan. Wer etwas wirklich und wahrhaftig erreichen will, sollte nicht so lange warten, bis sich irgendwann einmal das Gefühl der Motivation einstellt. Besser wäre es, jetzt direkt - zumindest mit einem kleinen Schritt - anzufangen. Denn ein Teil der Kunst der Antigravitation besteht im souveränen Umgang mit einem Paradox - schneller sein als die eigene Motivation.